PETITE CHOUETTE
1949
- KERAMIK
- ÉDITION PICASSO, AUFLAGE VON 200 EXEMPLAREN,
AM BODEN MIT DEM STEMPEL "MADOURA PLEIN FEU" UND "D´APRÈS PICASSO"
- 12,3 X 13,8 X 10 CM,
KLEINE BRANDRISSE AM HENKEL
PROVENIENZ
- SAMMLUNG, FRANKFURT AM MAIN
Literatur
WERKVERZEICHNIS RAMIE NR. 82
Im Jahr 1949 schuf Pablo Picasso das keramische Werk Petite chouette (deutsch: „kleine Eule“), das im Werkverzeichnis von Alain Ramié unter der Nummer 82 geführt wird. Es handelt sich dabei um einen kleinen, aus weißer Fayence (terre de faïence) gefertigten Krug, der in einer Edition von 200 Exemplaren hergestellt wurde. Besonders interessant ist, dass es von diesem Werk mehrere Farbvarianten gibt: Neben der standardmäßigen Ausführung existieren auch Versionen mit abweichender Farbgebung, teils mit lebendigeren Kontrasten oder feineren Akzenten in den Gravuren. Die Dekoration basiert auf einer Sgraffito-Technik, bei der die Konturen der Eule in den noch weichen Ton eingeritzt und anschließend mit Engoben bemalt wurden. Im Inneren des Gefäßes befindet sich eine klare Glasur, während die äußere Oberfläche nur teilweise glasiert ist – ein bewusster gestalterischer Bruch mit der klassischen, vollflächigen Glasur, der Picasso zu jener Zeit besonders faszinierte.
Die Petite chouette ist exemplarisch für Picassos keramisches Werk, das in enger Verbindung zur südfranzösischen Töpfertradition und insbesondere zur Werkstatt Madoura in Vallauris steht. Picasso kam 1946 zum ersten Mal nach Vallauris, einem kleinen Ort in der Provence, der seit Jahrhunderten für seine Töpferkunst bekannt war. Dort begegnete er Suzanne und Georges Ramié, die gerade ihre Keramikwerkstatt Madoura aufgebaut hatten. Die Begegnung sollte zu einer der fruchtbarsten künstlerischen Kooperationen seines Spätwerks führen. Bereits ein Jahr später, 1947, begann Picasso regelmäßig in der Madoura-Werkstatt zu arbeiten – zunächst vorsichtig, später mit wachsender Begeisterung und enormer Produktivität. Er entwickelte Hunderte von Keramikobjekten: Krüge, Schalen, Vasen, Teller, Wandplatten und figürliche Objekte, die teils als Unikate, teils in kleinen Serien hergestellt wurden.
Für Picasso bedeutete die Arbeit mit Ton eine neue künstlerische Freiheit. Die Möglichkeit, in die Form direkt einzugreifen, plastisch zu modellieren und gleichzeitig die Oberflächen zu bemalen oder einzuritzen, eröffnete ihm ein Ausdrucksfeld jenseits der Leinwand. Besonders reizte ihn der alchemistische Charakter des Brennprozesses – die Ungewissheit, wie Farben und Glasuren aus dem Ofen hervorkommen würden. In enger Zusammenarbeit mit den erfahrenen Keramiker*innen von Madoura entwickelte Picasso Methoden, um seine Motive – Tiere, Gesichter, Fabelwesen oder auch klassische Szenen – in das Medium Keramik zu übertragen. Dabei ging es ihm nicht nur um dekorative Kunst, sondern um eine künstlerische Erweiterung seines gesamten Œuvres. Keramik wurde für ihn zum gleichwertigen Medium neben Malerei, Grafik und Skulptur.
Die Madoura-Werkstatt spielte dabei eine Schlüsselrolle. Suzanne Ramié, selbst eine ausgebildete Keramikerin, und ihr Mann Georges stellten Picasso nicht nur Material und technisches Wissen zur Verfügung, sondern förderten seine Experimente aktiv. Sie halfen ihm, seine Entwürfe in wiederholbare Formen zu bringen, und übernahmen die Edition und den Vertrieb der keramischen Werke. Die Kooperation war so erfolgreich, dass Madoura in den folgenden Jahrzehnten mehrere hundert von Picasso entworfene Modelle produzierte, die teils heute noch in Sammlungen und Museen weltweit zu finden sind. Die berühmten Stempel „Madoura Plein Feu“ und „Edition Picasso“ auf der Unterseite vieler Objekte belegen diese enge Zusammenarbeit.
Die gemeinsame Geschichte von Picasso und Madoura veränderte nicht nur das Leben des Künstlers, sondern auch das Ansehen der Keramikkunst insgesamt. Was zuvor oft als kunsthandwerklich abgewertet wurde, bekam durch Picassos Innovationskraft und künstlerischen Anspruch ein neues Renommee. Vallauris wurde zum Zentrum der modernen Keramik, zog Künstler aus aller Welt an und etablierte sich als kultureller Ort von internationalem Rang. Auch nach Picassos Tod 1973 blieb Madoura ein Ort der Erinnerung und des Erbes. Die Werkstatt existierte bis in die späten 1990er Jahre und wurde später als kulturhistorischer Ort unter Schutz gestellt. In jüngerer Zeit gibt es Bemühungen, sie als Museum und Ausstellungsstätte wiederzubeleben, um das künstlerische Vermächtnis dieser einzigartigen Verbindung zwischen einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts und der traditionellen Töpferkunst lebendig zu halten.