OHNE TITEL
1970-75
- SCHWARZE TUSCHE AUF PAPIER
- 18 X 26,5 CM
PROVENIENZ
GUTACHTEN
Literatur
AUS DEM SKIZZENBUCH LA REINE DE SABA, SEITE 39
Marc Chagall gilt als einer der Pioniere der Moderne und hat ähnlich wie Picasso ein ungemein großes, unglaublich vielseitiges und umfassendes Gesamtwerk hinterlassen. Er war Maler, Zeichner, Bildhauer und Keramiker, er entwarf Glasfenster, Bühnenbilder, Ausstattungen für Theater, Oper und Ballett. Seine Auseinandersetzung mit den verschiedensten künstlerischen Techniken und Methoden hat die Kunst des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusst und bereichert.
Eine Vielzahl der großen Werke Chagalls bezieht sich häufig auf literarische, mythologische und im Besonderen auf biblische Themen und finden neben ihrem ideellen Ursprung, den kreativen Ausgangspunkt in spannungsreichen Skizzen, welche in einzigartiger Weise den Ideenreichtum des Künstlers widerspiegeln und als Vorlage für spätere Arbeiten dienen. Diese Arbeiten zeigen in ihrer schnellen Ausführung die spontane Idee des Künstlers ohne in Logik und dem rationalen Denken zu verhaften. Gerade für Chagall ist die Darstellung des Intimen und tiefer menschlicher Empfindung ein besonderes Anliegen und zeigt sich sowohl in den von subtilen Farben und Motiven geprägten bedeutenden Werken des Künstlers als auch in den kleinen, delikaten Arbeiten, deren Ausdruck durch die für Chagall ganz eigene lyrische Stimmung geprägt wird.
Unser einzigartiges Konvolut an Blättern besteht aus Werken des zwischen 1970 und 1975 entstandenen Skizzenbuch zu La Reine de Saba, in welchem zahlreiche Illustrationen in Tusche, Blei, Kugelschreiber und farbiger Kreide die spontanen Ideen des Künstlers zu den Legenden und Schriftquellen über die sagenumwobene Königin vom Künstler festgehalten wurden. Diese Bildnisse spiegeln das kreative Schaffen des großen Künstlers wieder und zeigen in der für Chagall typischen, beziehungsreichen Metaphorik die großen Themen seines Oeuvres. Einige der Arbeiten sind nur zart und subtil umrissen und wirken so besonders fragil, wenngleich genau hierdurch die Sinnlichkeit dieser Werke zum Ausdruck kommt. Andere Werke hingegen zeigen in selbstbewusstem Strich und ungeheurer Verve die große Vitalität und präzise Beobachtungsgabe des großen Künstlers, welcher mit virtuosem Talent und mit nur wenigen Linien und Strichen kraftvoll und spannungsreich eine Legende aufs Papier bannt. Hier wird eindringlich der kreative Schaffensprozess einer der größten Künstlerpersönlichkeiten der klassischen Moderne vermittelt, welcher wie kaum ein anderer Künstler jenseits von wechselnden Kunsttheorien, Strömungen und Moden seine eigene, überaus homogene Bildsprache entwickelt und beibehalten hat. So taucht auch immer wieder das liebende Paar, das Pferd und die Geige auf und verweisen auf die großen Drehpunkte im Leben eines Menschen, wie Geburt, Hochzeit, Tod und Liebe – aber auch sehr subjektive und autobiographische Momente aus Chagalls Biographie können in denen als Symbol betrachteten Objekten gesehen werden. Und auch in der Darstellung der Protagonisten der legendären Geschichte um die Regentin verknüpft Marc Chagall die nur wenigen historisch-literarischen Punkte mit einer in langer kunsthistorischer Ikonographie stehenden Tradition zu dieser Thematik. Diese ikonologische Umsetzung zeigt in ihrer Ausführung dann in spannungsreicher Intensität, Bilder aus Träumen und Visionen, angefüllt mit einer Vielzahl an Symbolen und wiederkehrenden Figuren, welche zum Leben erweckt werden. Geflügelte Wesen, Menschen und Tiere schweben durch die Lüfte, vorbei an Blumen, Häusern, und Früchten und verschmelzen in den Bildern zu poetischen Erzählungen tiefster Emotion und Ästhetik.