CA. 1920
In seiner künstlerischen Karriere durchläuft Derain eine Vielzahl prägnanter Kunstströmungen auf der Suche nach einem ganz eigenen Verständnis von künstlerischem Ausdruck. Als einer der Hauptvertreter der französischen Avantgarde und Mitbegründer der fauvistischen Bewegung im Umfeld von Matisse und Vlaminck versucht er auch in seinem späteren Werk, eine Balance zwischen die für ihn kaum überwindbaren Extreme von Tradition, Abstraktion und Theorie zu manifestieren. In der Leidenschaft zur Malerei sucht er bis zum Ende tiefe Wahrheit, die er selbst so schwer im eigenen Werk erkennen kann.1
„Ich will nicht irgendwelche Theorien darlegen darüber, was in der Kunst zu tun sei. Ich male einfach so gut ich nur kann. Der Jammer ist, dass viel zu viel Theorien in Um- lauf sind und nicht genug Leidenschaft, sie zum Leben zu erwecken.“ 2
Unsere Zeichnung entsteht in den 1920er Jahren, in einer Zeit, in der sich Derain maßgeblich mit den klassischen Themen Italiens beschäftigt und von dem Wunsch einer bewussten und starken Besinnung zu Tradition und Substanz beeinflusst ist. Die junge Frau wird hier im Profil dargestellt und man sieht deutlich Derains Absicht, eine an die klassischen antiken Statuen erinnernde Schönheit zu komponieren. Der Anspruch an Individualität der Person tritt zurück und in der idealisierten Physiognomie zeigt sich der Rückgriff auf klassische Schönheitsideale. Dennoch bedient sich auch Derain hier einer Vielzahl abstrakter Elemente, die er in gekonnter Symbiose zu seinem ganz eigenen Stil formt.
1 Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Zürich 1961, S. 23 ff.
2 Gaston Diehl: André Derain, München 1977, S. 17.